LABARRIERE HELEN (frankreich)Auch innerhalb der Free-Jazz-Reihe in der Manufaktur gibt es Dinge, die gar nicht gehen. Zum Beispiel jaulende Gitarren-Solos. Zum Glück gibt es aber immer wieder Musiker, die sich über Erwartungshaltungen, auch des Publikums, hinwegsetzen, wie jetzt das Helene Labarriere Quartet, und lustvoll sinnlich spielen, ohne sich darum zu scheren, ob das dann noch Free Jazz genannt wird. Der Gitarrist Hasse Poulsen rennt anfangs hektisch rum und sucht seine Noten, während sich das Publikum amüsiert, und die Bassistin Helene Labarriere erklärt, es handele sich hierbei um einen Sketch, nur keine Sorge, alles passe ins Konzept. Eine Frau am Kontrabass - und Humor? Gibt es beides nicht oft innerhalb der Free-Jazz-Reihe in der Manufaktur. Auch dass Musiker nach Noten suchen. Oder dass kleine Verstärker vor der Bühne aufgebaut sind. Und das sind nicht mal die wichtigsten Besonderheiten beim Konzert des Helen Labarriere Quartet. Die Pariser Bassistin spielte früher in Joachim Kühns Trio oder beim Vienna Art Orchestra und jüngst auch in Robert Wyatts Dondestan-Projekt mit Karen Mantler. Daran erinnert ihre Musik in der Manufaktur. Musik in der Tradition von Carla Bley und Michael Mantler. Ein melodischer, durchaus arrangierter, aber in puncto Dynamik und Intensität jederzeit freier Jazz, der sich ohne Schubladen bei der Weltmusik oder beim Rock bedient. Musik mit streng notierten Passagen bzw. einem Gerüst an Komposition und Arrangement, das die Solisten aber nicht einschränkt, zumindest nicht hinsichtlich ihrer Ausdrucksfreiheit. Beim Helene Labarriere Quartet sind es indes nicht die Noten, die die Musik zusammenhalten. Sondern allenfalls ein "head arrangement" als Kompass für einen mal weich und womöglich "weiblich", mal wilder fließenden Puls von Rhythmus und Melodie, der Motive anscheinend frei entstehen lässt. Gespeist von Labarrieres immer gefühlvollem und oft virtuosem Kontrabass, von den fantastisch federnden und fächernden Schlagzeug-Strukturen Christophe Marguets, vom zurückhaltenden Baritonsaxofonisten Francois Corneloup, der mit One-Note-Phrasierungen auch mal den Rhythmus mitträgt, und vor allem vom mal dominanten, mal ökonomisch klugen Spiel Hasse Poulsens auf der akustischen Gitarre, die er mit Effektgeräten zur E-Gitarre aufmotzt. Dies geschieht für den Geschmack von zwei Zuhörern, die während seines Solos den Raum verlassen, in einer Art Rockjazz-Nummer wohl ein wenig übertrieben, aber auch mit einigem Augenzwinkern. Nie kommt der Eindruck auf, hier lasse einer die Muskeln spielen. Eher wirkt Poulsen wie ein kleiner, verspielter Junge und passt so hervorragend zu Helene Labarrieres Konzept. Denn noch mehr als den Puls der Stücke anzutreiben, gibt die Bassistin Impulse und hat somit insgesamt sozusagen die Hosen an. Ihre Ideen, ihre Konzepte sind hier entscheidend, etwa wenn sie die Musiker in eine Free-Noise-Passage leitet, zum freien Kratzen und Schaben, um wenig später eine neue Struktur aus dem vermeintlichen Chaos herauszukratzen. Oder wenn ein wildes Bass-Solo, in dem sich die Labarriere austobt, in einer Art Blues endet. Oder auch umgekehrt, wenn eine fast klassische Ballade wegen ihres nun plötzlich wilderen Spiels anzieht und zu Furor und Free Funk führt. Eine unberechenbare Bassistin, im guten Sinn. Und eine humorbegabte. Was beides im gleichen Maße diesem Konzert zugute kam. (Michael Riedinger) contrebassiste rousse, énergique et aventureuse aux collaborations musicales innombrables. une grande musicienne créative à l'affût de vocabulaires nouveaux. (Yves Robert) |