Laudatio an Ernst Jandl

Dieter Glawischnig für ERNST JANDL

Aus der Laudatio anläßlich der Verleihung des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst, Wien 1991

Die Wiener Operette behauptet, ‘wie’s da drinnen aussieht, geht niemand was an’. Was Ernst Jandl angeht, wie er es an-geht und wie es in ihm aussieht, geht alle was an.. Uns alle gehen seine Gedichte, seine Theaterstücke, seine Hörspiele mit Friederike Mayröcker, seine Prosa, Texte, Aufsätze, Vorträge und Reden was an, sein radikaler Wille zur Kunst, zum Produzieren von Gegenständen aus Sprache, -und was er sich beim Machen dieser neuen Gegenstände gedacht hat, wie er an das Machen herangeht, welche Wirkung er erwartet.

Er nagelt uns ‘diesen da tag’ fest mit einer Wortwahl, die alle Kostbarkeit vermeidet, mit Silben, mit Lauten, Buchstaben, mit Bildschriften und mit der Mimik des Körpers als Papier. Ein Kugelschreiber, ein leeres Blatt, ein Fliegenbein, Zigaretten, Whiskey, oder auch gar nichts können der richtige Ausgangspunkt sein, der Punkt also, in dem bereits alles drin ist, so daß es nur noch in leichter  Arbeit herausgezogen werden muß. ‘ ich machen an mir sprachüberraschung’ - mit der Präzision eines Schwedenmessers zersägt er, wenn es ihm beliebt, die gewohnten Normen der Sprache und führt von Vorkämpfern Begonnenes zu einer einmaligen,  nur ihm selbst gehörenden Einheit von Thema, Wortmaterial und Form, wiederholbar, wenn überhaupt versucht, nur als Plagiat und Parodie.

Leidenschaftlich interpretiert er in seiner Poesie und in seinem Theoretischem zur schriftstellerischen Praxis Kunst, also auch Dichtkunst als fortwährende Realisation von Freiheit, allerdings ohne puristischen Zwang zum experimentell Neuen. Er verwendet Sprache einmal so, dann so. Seine relativ autonomen sprachkritischen Gedichte verzichten nicht völlig auf Bedeutung, bauen auf die Assoziationskraft der Titel,- oft ein letztes Refugium der Normalsprache - und halten das formale Spiel durch die offene semantische Komponente in einem Schwebezustand berstender Spannung, geben dabei nicht alle Verbindungen zur gewohnten Welt auf. Seine Gedichte in oder nahezu in Alltagssprache wiederum - überwiegend Berichte über Erlebnisse, Erfahrungen, Beobachtungen, Reflexionen, gesellschaftskritisch - machen die Erweiterung des Spielraums, die nun einmal erfolgt ist, nicht rückgängig, sondern erreichen ihre Intesität gerade durch  die Verwendung jeweils ganz eigener Spielregeln.

‘ Ziel meiner Arbeit, heute wie früher, sind funktionelle, lebendige, direkte Gedichte, gesteuert von welchem Material immer sie ausgehen, in welcher Form immer sie hervortreten, von dem was in mir ist an Richtung und Neigung, an Freude und Zorn. Was ich will sind Gedichte die nicht kalt lassen. Damit verbunden ist die Hoffnung auf eine Veränderung der Dinge durch eine herausfordernde Veränderung der Kunst, durch ein herausforderndes im Werk selbst: ‘Vielleicht daß eine Formel gelingt, die etwas bewirkt’.

Gesellschaftskritik und Engagement so verstanden wirkt schon dort, wo die Sprache aus dem normativen Geleise kippt. ‘ In der Poesie brauchen wir alles, woran, wir uns nicht gewöhnt haben.’ Die Verteidiger der goldenen Köpfe der Klassiker und jeglicher Normen sind die Zielscheibe, wenn mit Mitteln der Kunst die Vorstellung von Normalität vorsätzlich und lustvoll zerstört wird. Nicht die Tradition wird zerstört, zu ihr besteht ein dynamisches Verhältnis. Dazu gehört sie zu kennen, zu wissen was bisher geschah, die passenden Ansatzpunkte für Eigenes zu finden, nicht zu Ende Geführtes auszubauen. Ein neuer Text, wenn er Bedeutung hat, ändert die eigenen Vorstellungen von Kunst und Leben, das ist das Politische. Wir alle bedürfen der Worte, die in eine Richtung weisen, die alte Vorstellungen erweitern, oder diese, wenn unbrauchbar, verschwinden lassen, Worte die uns helfen, aus dem gewohnten herauszutreten, uns von angelebten Zwängen zu befreien, Worte gegen Trägheit und Gleichgültigkeit, die, wenn sie an ihr Ziel gelangen, ‘ dort ein wenig mehr Licht, so wir es brauchen, und ein wenig mehr Wärme, so wir sie brauchen’ hinterlassen.

Engagement heißt für Ernst Jandl auch : Bei der Sache sein, als selbstauferlegte Verpflichtung zielstrebig ganz bei der Sache sein. -Ganz bei der Sache ist er, außer am Schreibtisch vor einem leeren Blatt, auf seinen Lesereisen. Er nimmt das Schicksal seiner Gedichte selbst in die Hand, wenn er mit seiner Vortragskunst andere zu erreichen sucht, bei denen noch innere Bewegung vorherrscht - Kinder , Jugend, jung gebliebene jeden Alters. Engagement bedeutet ihm auch, ganz bei der Sache der anderen zu sein, bei der gemeinsamen Sache mit den anderen zu sein. Als Spiritus Rector der Grazer Autorenversammlung gelang es ihm, auf dem Umweg über das Ausland die offizielle staatlich-gesellschaftliche Anerkennung der neueren österreichischen Literatur auch in Österreich gegen einem damals monopolistisch verwalteten ästhetischen Traditionalismus durchzusetzen.

Gemeinsame Sache macht Ernst Jandl auch mit improvisierenden Musikern. In die lange Reihe der Wegweiser und Weggefährten gehört auch Dizzy Gillespie mit seinem Scat-Gesang. Der Jazzfan und -Kenner verwendet schon in seinen Sprechgedichten eine Art ‘ beat’ in gleichmäßigen rhythmischen Schlägen, seine Lautgedichte sind Vokalsoli - unterwegs zur Musik durch Rhythmus und Klang. Ein grenzenüberschreitendes Teamwork gelingt durch Aufspüren von  gemeinsamen Gestaltungskriterien in der Dynamik der vorwärtstreibenden Kräfte beider Sparten, so etwa , wenn sich durch Variations- und Wiederholungstechnik wiederkehrende Elemente in sich verändernden Konstellationen ergeben, mit Zufuhr von immer Neuen.

Die neuere improvisierte Musik im Bereich und in der Reichweite des Jazz steht ebenfalls im Spannungfeld von Tradition und Neuerung. Der Kampf zwischen den Traditionalisten in der Musik und solchen Musikern, welche die Formen musikalischer Erfahrung derart umbauen, daß Musik heute lebendig sein kann, gegenüber allem, was nur noch tote Form repräsentiert, steht dem Kampf zwischen den kulturschützenden Humanisten gegen die neue Literatur an Heftigkeit nicht nach. Auch die Jazzer sind daran , zahlreich und gleichzeitig sich jeder ein eigenes Modell von Freiheit zu zimmern, Töne einmal so, und dann so zu verwenden. Dazu kommt allerdings als zweite Front die Auseinandersetzung mit der Realität der Medien. Das Schielen nach der Einschaltquote und der Blickwinkel der Kalkulation auf Produkte, die möglichst schnell und in Massen verkauft werden können, engt den Handlungsspielraum auch gutwilliger und verständnisvoller Förderer ein.

Musik und Poesie spielen sich ab in der Dimension der Zeit, ein Hauptpunkt innerhalb der humanen Thematik Ernst Jandls. Ansetzend beim Erlebnis des Augenblicks führt er uns als Aufklärer, Moralist, Erzieher, skeptischer Idylliker und Erzschelm mit all seiner Sprachkunst durch die Zeit, auch zu Gedanken an das Altern und den Tod, zum ‘metaphysischen Loch’, das manche durch Philosophie und Religion notdürftig für sich zu flicken versuchen. Jandls schlichte Feststellung, daß immer alles so weiter geht, beruhigt jedoch und kräftigt. Und: ‘vielleicht eines tages, werde gott wieder da sein, und gar nichts gewesen dazwischen’.

Wenn ich heute ein Duke Ellington-Konzert mit meiner Bigband in Hamburg beende, kommt mir der berühmte Ausspruch dieses genialen Musikers in den Sinn, mit dem ich jetzt meine Worte für meinen Freund Ernst Jandl abschließen will: Lieber, lieber Ernst, WE ALL LOVE YOU MADLY. 

ERNST JANDL mit den NEIGHBOURS

  Ich habe Ernst Jandl während einer Lesung im Grazer FORUM STADTPARK zum ersten Mal live erlebt. Wir alle waren von den Texten und von seiner Vortragskunst hingerissen. Ich spielte damals vor allem mit dem Bassisten Ewald Oberleitner im Duo, wir hatten  Verschiedenes ausprobiert und fühlten uns durch die Musik Ornette Colemans bestärkt, die  über die  auf den Jazz der 50er Jahre fixierten  Ohren der Fans hereinbrach. Unser ‘formal und motivisch gebundener Free Jazz’, wie wir unser Spielen nannten, schien uns verwandt  mit Jandls Arbeit am Wort-, Silben -und Lautmaterial der Sprache.

Ich bin nicht sicher, von welcher Seite der erste Impuls zu einer Zusammenarbeit ausging; ein erster gemeinsamer Auftritt fand jedenfalls 1966  in Linz statt: ‘Texte in idealer Entsprechung mit dem Glawischnig-Duo. Ein Mann sprach wohlgemessen und exakt wie eine Maschine die Blitz und Donnerbotschaft neuester Lyrik in einen kleinen Saal. Seine Texte fielen wie ein drittes Instrument in das Jazz-Zwiegespräch eines Klavieres und eines Basses ein und trieben die Improvisationen  bald schneller- lauter, bald langsamer- leiser voran’, und Heimrad Bäcker verfocht mit Vehemenz die neuen konkreten Texte.

Weitere Auftritte folgten, zu Anfang der 70er Jahre auch im Quintett, seit 1974 mit den NEIGHBOURS (mit Ewald Oberleitner und dem Schlagzeuger John Preininger), u.a. bei den Ludwigsburger Schloßfestspielen 1981, Österreichtournee 1983, in Prag bei einer Doppellesung mit Friederike Mayröcker (die sich von mir auch Klaviermusik von Eric Satie gewünscht hatte), zu besonderen Anlässen dreimal in Wien (1984 zum Österreichischen Nationalfeiertag, 1991 anläßlich der Verleihung des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst an den Dichter - unter Mitwirkung von Christian Muthspiel  und des  von Ernst Jandl besonders geschätzten Hans Koller, 1993 zum 25.Geburtstag der ‘Sprechblasen’). Gut  in Erinnerung geblieben ist mir auch  der Auftritt  im Duo mit dem Neighbours-Freund und Literatur-freak Manfred Schoof bei den Siegburger Literaturwochen 1990.

Die Musik war improvisiert, hielt sich aber immer auf die Art eines ‘head arrangements’ an die abgesprochene Dramaturgie der Texte. Aufgrund der angestrebten ‘motivischen Arbeit’ mit dem improvisierten Startmaterial, welche stets der Struktur der Texte und deren Inhalt verbunden sein wollte, mochten  manche Passagen den Eindruck von schriftlich Komponiertem erwecken. Das war jedoch weder unsere Absicht, noch hielten wir dies für besonders wünschenswert. Wir haben uns leider nicht um professionelle Konzertmitschnitte gekümmert, was ich heute sehr bedaure.

  ERNST JANDL mit der NDR BIGBAND

Anmerkungen zu ‘Laut und Luise’ und ‘Aus der Kürze des Lebens’

  ‘Laut und Luise’ wurde 1982 im Rahmen des damals noch ‘New’ genannten  Jazz Festivals in der Hamburger Fabrik uraufgeführt. Ein ‘Heimspiel’ fand 1983 beim ‘Steirischen Herbst’ in Graz statt, weitere Aufführungen 1985 in Hannover und beim Jazzfest Berlin ( davon die  vorliegende Fassung ). ‘Aus der Kürze des Lebens’ wurde 1989 nach einer Vorpremiere in Wolfsburg im Funkhaus Hannover als TV-Konzert produziert (davon die  CD-Fassung  mit wenigen Schnitten in die Wolfsburger Aufführung).

Für das Grazer Programmheft schrieb Ernst Jandl: ‘Nachdem 1980 Dieter Glawischnig die Leitung der Bigband des Norddeutschen Rundfunks Hamburg übernahm, wünschte er meine Mitwirkung als Sprecher eigener Texte im Rahmen seines Orchesters. Ich zögerte. Wie sollte ich es wagen, meine Stimme inmitten eines so gewaltigen, farbenreichen Klangkörpers zu betätigen? Im Frühjahr 1982 verließen mich meine Argumente am Telefon, das immer meine verletzlichste Stelle ist. Ich versprach Dieter Glawischnig, ihm für seine große Komposition zur Verfügung zu  stehen. Mein Einwand, ich hielte eine echte Integration des von mir zu sprechenden Textes in die Musik des Orchesters für ausgeschlossen, verfing nicht. Eine Arbeit begann, wie ich sie mir  in  ihrer Schwierigkeit und Härte nicht vorgestellt hatte’.

Meine kompositorische Absicht war tatsächlich eine Integration von Sprache und Musik. Unter Verzicht auf ein Jazz und Lyrik-Verfahren nach dem Motto ‘ein Gedicht- eine Melodie’ sollte ein durchkomponierter ‘Opernakt’ entstehen, ein Melodram mit dem Sprecher als Hauptsolisten im Mittelpunkt.( Die Platte, die mich  seinerzeit am meisten beeindruckt hatte, war eine mit Polnischer Lyrik, mit Musikern aus dem Umkreis von Kristof Komeda und mit Helmut Lohner als Sprecher; das Gedicht über Giordano Bruno auf dem Campo di fiori habe ich seither nie vergessen.)

Das Schwierige  mag für Ernst Jandl wohl darin gelegen haben, daß er sich genau  in  den formalen  Ablauf  eingliedern sollte.  Anders als im loseren improvisierten  Zusammenhang innerhalb kleiner Gruppen waren nun  viele Einsätze des Sprechers ‘on cue’ gefordert, außerdem an bestimmten Stellen ein  beat-bezogenes Sprechen ‘im Takt’. Ich hatte mich bei meinen notierten Rhythmisierungen zwar immer an Jandls eigenen Sprechrhythmus gehalten, den ich gut kannte. Es war für ihn aber doch etwas anderes, seine eigene ‘natürliche’ Interpretation nun haargenau  im Schraubstock des Metrums und umgeben vom ‘Getöse’ eines großen Jazzorchesters nachvollziehen zu  ‘müssen’. Ernst Jandl hat diese Aufgabe ohne Verlust von Schwung blendend gelöst.

Meine Auswahl der Gedichte führte zu thematischen Gruppen, mit denen ich etwas anfangen zu können glaubte. Ernst Jandl stimmte mit einigen Ergänzungen zu und gab den Stücken ihre Titel. Wirkungsvolle Libretti, wie wir meinten, wurden in Arbeitssitzungen schnell gefunden, es ergaben sich für ‘Laut und Luise’ die Themenkreise ‘Konkretes mit Witz’, ‘Krieg’, ‘Geschlechtliches’, ‘tagenglas’, ‘Tierwelt’ und ‘Mensch’ (‘vermessen’). Die Gruppen in ‘Aus der Kürze des Lebens’ bekamen die Arbeitstitel ‘Zum Schreibprozeß’, ‘Zigarettenrauchen’, ‘Schwarze Pädagogik und soziale Beziehung’, ‘Liebe’, ‘Gott’ und ‘Zeit, Augenblick, Tod’. Die Gedichte für ‘Aus der Kürze des Lebens’ gehören mit Ausnahme einzelner Sprechgedichte zu der Gruppe von Texten, die Ernst Jandl nahezu in Alltagssprache geschrieben hat. Ich habe in diesem zweiten Jandl-Opus nicht absichtlich auf Lautgedichte und auch auf weitere Sprechgedichte verzichtet, auf in ihrer Wirkung erprobte ‘Hits’ - erprobt nicht nur vom Vortragenden auf vielen Lesereisen, sondern auch im Zusammenwirken mit der Musik unseres Trios, aus dem sich das Gesamtkonzept von ‘Laut und Luise’ herauskristallisiert hatte. Dieser Verzicht, der keiner ist, war nur das Ergebnis meiner Vorliebe für bestimmte Themen. Dabei war klar, daß Wortgebilde wie ‘flottsch ‘ oder ‘schtzngrmm’ leichter und fast mit zwingender Automatik die Ohren der Zuhörer erreichen, als Zeilen wie diese, die gegen Ende des Stückes Verwendung fanden: ‘vieles schon / betrachte ich / aus der sicht der anderen’.

Wird Jazz in der Tradition der engagierten Musik als kraftvolles Transportmittel für Texte (‘Botschaften’) eingesetzt, so ist zu allererst auf Wortverständlichkeit zu achten: Kein einziges Wort, keine Silbe, kein Laut darf durch übertönende Instrumente gefährdet werden. Dennoch sollte eine Balance zwischen Musik und Sprache entstehen, das Orchester und die Solisten (die ich mir aussuchen konnte) mußten in ihrem eigenen Medium zu Wort kommen können. Ich habe folgende Besetzungen ausgenützt: Sprecher solo, Sprecher im call & response- Verfahren mit Solisten oder kleinerer Besetzung, Sprecher mit vollem Orchester, Orchesterblöcke ohne Text, längere improvisierte Passagen der Solisten, einzeln oder im Kollektiv, auch eine Tonbandmontage an geeigneter Stelle.

Ernst Jandl macht es Musikern, die seine Texte in Musik umsetzen wollen, eigentlich sehr leicht. Als ‘Weltbilder in Kompaktform’ sind sie in ihren Sprachmitteln oder in ihrer inhaltlichen Aussage derart präzise, daß es eines sehr fortgeschrittenen Grades an Verstocktheit bedürfte, daß einem(r) dazu nichts einfiele. Daß er Sprache ‘einmal so, dann so’ ohne puristischen Zwang zum experimentell Neuen verwendet und dennoch immer jeweils ganz eigene Spielregeln erfindet, erlaubt auch dem Musiker den Einsatz der ganzen Palette der Ausdrucksparameter seines Metiers, um seiner Fantasie ungehindert durch ausschließende Normen stilistischer Art freien Lauf zu lassen.

Am Anfang beider Stücke steht das Wort, in ‘Laut und Luise’ von ‘fortschreitender räude’ zersetzt und spitz und giftig oder belanglos und geschwätzig zu seinem kommunikativen Nullpunkt geführt ( Party?-’talk’). Alle Musiker improvisieren mit rythmisch notierten Kürzeln, die dem Vortrag des Sprechers entlehnt sind. Jandls Sprachwitz verleitet zu musikalischen ‘gags’, die sein mußten. ( ‘ottos mops’ hurtig durch das Orchester hüpfend habe ich mir verkniffen; dieser Klassiker mußte solo bleiben). Gags wurden, wenn immer möglich, in einen musikalischen Zusammenhang gestellt: In ‘portrait eines mädchens’  antwortet die Baßposaune auf die Orchester-Sirene mit einem Intervallsprung in die Gegenrichtung und nimmt damit die Baßfigur des darauffolgenden ‘bericht über malmö’ vorweg. Dieser erste größere Musik-Block übernimmt die Jandlsche Reihungs-und Permutationstechnik: Die sections der Bigband werden in einer Art Etagentechnik zu einem Tutti geführt, das die solistischen Ausflüge von Herb Geller, Manfred Schoof und Gerd Dudek umrahmt. (Ähnlich auch ‘auf dem land’). Für die längere Kriegs-Szenerie (‘fragment’ bis ‘falamaleikum’) habe ich auf ein älteres 12-Ton-Stück (‘Lines’) zurückgegriffen. Das Material des zweistimmigen Kontrapunkts , auch in Umkehrung, schien die passende Erregungs-Potenz , auch für die Solisten John Marshall, Wolfgang Schlüter, Werner Rönfeld am Bariton, für mich am Klavier und für Schoof zu haben und war auch als Basis des schwebenden polyphonen Gewebes für ‘henker...’ verwendbar. Im anschließenden ‘reich der toten’ hatten die Musiker Jandls Lautgedicht vor sich und waren gefordert, direkt mit sounds auf den Vortrag des Sprechers zu reagieren. ‘geschlechtsumwandlung’ zitiert das Kopfmotiv des ‘ lieden, den wird allen bekannt sein’ als shouting response des Orchesters mit dem Sprecher; quiekende Klarinetten aus gegebenen Anlaß. Der Zyklus ‘tagenglas’ ist eingebettet in ein ständig wiederholtes unregelmäßiges pattern - ‘die zeit vergeht’, darüber die eindringlichen Szenen aus dem täglichen Leben in Jandls heruntergekommener Sprache.

Die Texte ‘inhalt’, ‘darstellung eines poetischen problems’ und ‘...er habe immer etwas zu sagen gehabt’ am Beginn von ‘Aus der Kürze des Lebens’ betreffen zentrale Anliegen aller Kunstmacher. Ein algorhythmisches Intervall-Modell (‘ein zwölftes wort’ - 12 Intervalle), im weiteren Verlauf des Stückes auch als Lieferant von geordneten Zusammenklängen brauchbar,  bildet die Basis. Die Orchestermusiker, präzisen ‘verrückten’ Noten folgend, und die Solisten, diese umspielend, schrauben sich in mehreren Anläufen wie eine  Spirale nach oben. Durch die kreative Mitwirkung von Conny Bauer, Christof Lauer, Manfred Schoof und Andreas Schreiber konnte mit einer gelingenden Verzahnung von Komposition und Improvisation gerechnet werden. ( Für analysierende Material-Fetischisten: Die Intervall-Idee ist auch im Dialog Jandl/Lauer in ‘glauben und gestehen’ versteckt, auch im Orchester-Tutti, das dem Text ‘an gott’ folgt, zwischen 3. und 4. Trompete, und trägt auch das Schlußduett mit Ernst Jandl und mir gegen Ende des Stückes). An anderen Stellen deuten - ‘transportieren’ - einfache Lieder den Text, so wie ich ihn sehe (‘my own song’). Beide Werke werden von einem großen Finale im ¾ - Takt abgeschlossen, wie es mir als Österreicher zusteht: ‘vermessen’ , ‘diesen tag / begehen / wie einen grund / oder wie ein fest / ohne grund zu einem fest / ohne festen grund’. Carpe diem, trotz allem.