25 Jahre Neighbours

ein Rückblick von Dieter Glawischnig

Dieter Glawischnig

(aus: Booklet von Doppel-CD 1995)

25 Jahre NEIGHBOURS 

Der kleine Schwindel im Titel für das  4-tägige Festival in Neumarket a.d.Raab, das Udo Preis im Rahmen seiner Limmitationes als Vorkämpfer für Literatur, Musik, bildende Kunst und Disputationes im östlichsten Bundesland Österreichs für uns ‘Neighbours’ initiiert hatte, möge erlaubt sein: Es waren nur 14, allerdings sehr aktive Jahre. 

Ich meine die Spielpause, die sich von 1986 bis 1992 ergeben hat: John wollte absolut nicht mehr trommeln, sondern nur schreiben, malen, astrologisieren (von mir verächtlich belächt, aber wer weiß? - J.D., bitte vergib mir das Fragezeichen) und anderes mehr machen, Ewald war als Grazer Hausbassist mehr als überbeschäftigt (v.a. mit Karlheinz Miklin), und ich war mit meinen beiden Hamburger Jobs, in die ich nicht nolens aber auch nicht volens hineingerutscht war,  mehr als beschäftigt. (In der Zeit gelang die Umgestaltung des Radio-Tanz-und Unterhaltungsorchesters des NDR zur ‘modernen’ Bigband und die Gründung einer ‘kleinen aber feinen’ Jazzabteilung an der Hamburger Musikhochschule). 

Seit 1992 geht es also wieder weiter: ‘Die Väter von nebenan sind wieder da und zeigen den Kindern, daß ihr Jazz an Frische nicht verloren hat’ schrieb Werner Grünzweig, und weiter: ‘Ganz eigenartig, daß nun eine ganze Schar junger Jazzmusiker in dieser Stadt (Graz) nachgewachsen ist, welche die ‘Neighbours’ und ihre Musik, einst künstlerischer Fixpunkt im quicklebendigen Grazer Konzertleben, nur noch von Schallplatten kennen. Umso erfreulicher, daß sie in alter Frische wieder auftraten.’  

Keine Angst, etwaiger Leser, es folgt keine Band-history als selbstbeweihräuchernder Fliegen-schiss, auch keine ‘Analyse der Spielweise der Neighbours’, für die ich mich eher kompetent fühle und einiges an Stilkritik  zu sagen hätte (dazu vielleicht einmal etwas, wenn körperliche Gebrechen jegliche Tonerzeugung verbieten sollten; das könnte in Zusammenhang stehen mit einem von mir schon lange geplanten, aber auf die lange Bank geschobenen Artikel mit dem reizvollen Titel ‘Marginalien zur Psychopathologie lokaler Jazzszenen’). Auch ist es ganz gegen unsere Neighbours-Art,  Hofschreiber zu feuilletonistischen Ergüssen zu animieren. 

Ich beschränke mich auf Hinweise, wie unser Trio seit Beginn funktioniert hat: Jede Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe ist ja, wenn sie funktioniert, ‘Ko-Operation’ (danke, Hilarion P.) von jeweils  verschieden sozialisierten einzelnen Menschen: John war ein frühreifes ‘Wunderkind’ des Grazer Landeskonservatoriums auf klassischem Sektor (John, bleib cool).  Mein von mir verehrter Klavier-Meister Erich Rabensteiner fragte mich damals, ob ich ein Paukenkonzert begleiten wollte, und herein kam ein kleines, blasses, dünnes Bürschlein von vielleicht 12 Jahren und spielte tatsächlich, was auf den Noten stand. Später hat ihn die Mitwirkung in Eje Thelin’s ‘Improvisation Group’ geprägt. (In  der Gruppe Eje’s, den ich im Lehrkörper der Jazzabteilung an  der Grazer Musikhochschule gegen den Widerstand der ‘Mainstream-Fraktion’  nicht halten konnte,  spielten damals u.a. auch Leschek Zadlo, Radu Malfatti, Adelhard Roidinger).  Ewald hatte ebenfalls klassischen Unterricht genossen, auch auf der Klarinette, und war schon früh mit allen praktischen (auch Kommerz-)Wassern gewaschen. Mit ihm spielte ich in den 60er Jahren im Duo einen ‘formal und motivisch gebundenen free jazz’, wie wir es auf Anfrage nannten, und wirkten in dieser Besetzung als ‘Exoten’ bei den Provinz-Konzerten der Ensembles des schon 1965 als europäische Novität entstandenen Institutes für Jazz mit. Ich selbst studierte eine ganze Menge Klassik in Theorie und Praxis, war aber besonders  stolz, in Graz als erster Ornette’s Platte ‘The Shape of Jazz to come’ erworben zu haben; in meiner (damaligen) Naivität fühlte ich mich  bestätigt. Viel gelernt habe ich übrigens von einem schwedischen Pianisten, Lundberg hieß er, glaube ich, und sehr viel von Peter Eberl, der Stücke des Frank Rosalino-Sextetts abgekupfert hatte, die wir dann nachspielten (Rudi Josel war mit von der Partie, ich spielte damals noch Trompete und begeisterte mich für Sam Noto). Der ‘Boom of Jazz Education’ war ja damals noch nicht ausgebrochen. 

1974  ‘gründeten’ wir unsere Gruppe, probten ausgiebig, nahmen auf und diskutierten, was zu tun sein könnte. Am Anfang waren wir zu viert, Heinz Hönig war  voll Enthusiasmus dabei, leider konnte er seine Aversion gegen Reiseunternehmungen nicht überwinden, vielleicht war aber doch der Aufbau des elektronischen Institutes an der Hochschule sein wirkliches Ding. (Ich glaube immer noch,  Heinz hätte sich zu einem ‘der’  europäischen Saxofonisten steigern können.)  

Den Großteil unserer Aktivitäten hat John in seiner Dokumentation ‘10 Jahre Neighbours’ aus Anlaß der Verleihung des Landesmusikpreises des Landes Steiermark 1984 festgehalten: Tourneen, teilweise mit Unterstützung der Österreichischen Kulturinstitute des Bundes-ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, in Europa (leider nie in Italien, Frankreich), USA, Canada, zweimal Süd-Amerika, Mexiko, Vorderer Orient; Kontakte zu Musikern gleicher Wellenlänge und Bandbreite (s. ‘Some Neighbours Activities’); viel Insider-Anerkennung, nie der große Durchbruch (wozu auch)  ins Festival-Business, wie es von uns ‘Promotion-Nullitäten’ auch nicht zu erwarten war (bis heute ist uns noch kein wirklich brauchbares Trio-Foto gelungen); aber: immer Freude und viel Neues beim Spielen. 5 LP’ in Eigenregie (‘Great Neighbours Music’). 

Kiloweise ‘gute’ Kritiken: ‘Für die Überraschung des dreitägigen Jazz-Festes sorgte die Grazer Gruppe Neighbours. Pianist Dieter Glawischnig, Bassist Ewald Oberleitner, Schlagzeuger John Preininger und Tenorsaxophonist Fred Anderson, er kehrte mittlerweile nach den USA zurück, waren in prächtiger Musizierlaune, spielten ihre Energien ungebremst aus. Kompositorische Eigenwilligkeit, stilistische Offenheit und Vielfalt der Gestaltungsmittel sind geradezu beispielhaft (Saalfelden, 1978). ‘Glawischnig, Oberleitner and Preininger are superb musicians whose freedom is well structured but full of explosive energy’ (Downbeat, Jan. 1979); ‘Neighbours aus Österreich: „Spacy“, luftig, klar, durchsichtig - wie ein Bild von Rene Magritte: Irgendeine absurde Situation unter einem blauen Sommerhimmel, der der Absurdität Hand und Fuß gibt. „Hand und Fuß“ - das ist wichtig bei dieser Musik’ (J. E. Berendt, Warschau Jazz Jamboree 1979); ‘An extraordinary new jazz trio from Austria, made ist Canadian debut at The Edge last night with a performance that at times sounded like the Bavarian Octoberfest run amok. ... So wellordered is their music you can’t detect the ordering; so controlled is their playing it comes across as the freest of free-form’ (P. Goddard, Toronto Star, Sept. 1980). ‘Zu den beeindruckendsten Konzerten gehörte der Auftritt der Grazer „Neighbours“ plus dem Saxophonisten Anthony Braxton als prominentem Gast, eine Erweiterung, die in ihrer Dynamik, in ihrem Witz und in ihrer musikalischen Dichte einfach mitreißend war’ (H. Ritzi, Jazz-Festival Wiesen, 1980). ‘Great Neighbours Music’. The allusion to the AACM is not coincidental - it is encased in a parallelogram, rather than a triangle on both volume’s covers, and is a statement of pride almost in response and musically equal to the best that the AACM has produced (M. Fine, Cadence Jazz Magazine, New York, Sept. 1980). Und so weiter, und so fort. Genug der Berühmung.  

Das ‘Limmitationes-Neighbours-Festival 1994’  war ein Treffen der Freunde, so wie es sich gehört. Alle ‘Friends’ kamen ohne Gage ins wunderschöne Burgenland (nur Reisespesen, dafür war  ‘Anhang’ willkommen). Aus technischen Gründen konnten nur die beiden ersten Tage des 4-tägigen Festivals aufgenommen werden. Daher sind   Fred Anderson und Bill Brimfield, die die lange Reise aus Chicago zu uns nur für ein knappes Wochenende unternommen hatten, und auch Christian Muthspiel auf dieser Doppel-CD leider nicht zu hören. Auch Christof Lauer, mit Rainer Winterschladen zu meinen engsten musikalischen Verbündeten in der ‘neuen’ NDR-Bigband gehörend, war aus familiären Gründen kurzfristig verhindert, zu uns zu kommen.  

Täglich um 17.00 Uhr wurde auspalavert, wer mit wem am Abend zusammenspielen wird. Die musikalischen Ergebnisse sind zu hören. (Wir, die Neighbours, hatten wirklich die Qual der Wahl. Je öfter wir die Sets durchhörten, desto besser gefiel uns die spontan entstandene Musik. Dennoch mußte mehr als die Hälfte weg). Die ‘Internationale der Improvisatoren’, wie sie Ekkehard Jost, unser Chef-Idiologe, der es in den letzten Jahren verstärkt auch als Musiker ‘wissen will’, genannt hat, war durch die Saxophonisten Johannes Barthelmes und Uwe Werner (zwei meiner wenigen Freunde ‘fürs Leben’, wie es so schön heißt), durch die Gitarristen Erich Gramshammer und Armin Pokorn, durch den Wiener Geiger Andreas Schreiber (meinen geliebten CERCLE-Mitspieler)  und durch den einzigartigen Tony Oxley vertreten, der, wie er mir anläßlich der Produktion  seiner Mobiles mit der NDR-Band sagte, schon in den 70er Jahren, als er uns in Ljubljana hörte, ein Ohr auf die Neighbours geworfen hatte. 

Vermehrt Konzerte seit 1992, besonders 1995 mit Ernst Jandl, diesem unbestrittenen Patriarchen der österreichischen Literatur, mit dem ich mit Ewald gemeinsam aufzutreten schon 1966 die Ehre (und einen Gewinn für’s Leben) hatte:  Ludwigshafen, Salzburger Fetzenspiele (was sich Marcel R.-R. wohl dabei gedacht hat?) und ein (bei aller Bescheidenheit)  wahrlich triumphales Konzert in Hamburg. 

Ich möchte mich hier jeder  Polemik zur Situation der gegenwärtigen Jazzszene enthalten. Wer Ohren hat, der höre, wer sie nicht hat, schweige. Nur soviel: Die in diversen ‘Fachblättern’ fabrizierten und dadurch ins ‘öffentliche Bewußtsein’ eingedrungenen ‘young lions’ mögen bleiben , wo der Pfeffer wächst.